Was Eltern von Schreibabys tun können: Interview mit Hebamme Anja Constance Gaca

BABY, Pflege

Alexandra Brechlin

Warum schreit mein Baby so viel und lässt sich nicht ablegen? Solche 24-Stunden-Babys sind für Eltern eine besonders große Herausforderung. Wir haben mit Anja Constance Gaca, Mitautorin von "Mein Schreibaby verstehen und begleiten" über genau solche "Schreikinder" gesprochen.

 

Warum haben Sie sich auf den Bereich „Schreikinder“ spezialisiert?

In meiner Arbeit als Hebamme und Stillberaterin IBCLC bin ich auch mit Regulationsstörungen von Babys konfrontiert. Oft melden sich die Eltern dann aber zum Beispiel wegen vermeintlicher Stillprobleme bei mir, die aber letztlich gar keine sind. Deshalb war es mir wichtig, mich zu diesem Thema weiterzubilden, um den Familien auch dann weiter helfen zu können.

Wie definiert man den Begriff „Schreikind“?

In unserem Buch erklären wir, warum wir den Begriff „Schreibaby“ eher für unpassend halten. Wir sprechen lieber von Babys mit hohen Bedürfnissen. Da sich der Begriff „Schreibaby“ aber etabliert hat, verwenden wir ihn trotzdem. Dennoch gibt es nicht das „klassische Schreibaby“, was sich über eine bestimmte Anzahl von Stunden, die es untröstlich weint, definieren lässt.

Warum schreien manche Kinder so viel?

Die Ursachen sind vielfältig. Regulationsstörungen, sensorische Integrationsstörungen, Hochsensibilität, aber auch das Temperament des Babys oder Phasen von Entwicklungsfrustration können mögliche Ursachen sein. In unserem Buch widmet sich ein ganzes Kapitel den vielfältigen Gründen.


Woran erkennt man ein Schreikind? Und wie unterscheidet es sich von anderen Kindern?

Manche Babys, die viel und untröstlich weinen, können Reize schlechter verarbeiten und kompensieren diese über das Schreien. Manche Kinder sprechen einfach auch eine andere Verhaltensprache und zeigen über das vermehrte Weinen ihre Bedürfnisse. Oft haben untröstlich weinende Babys auch ein empfindsameres Temperament und sind situativ schneller überfordert.

Was kann ich tun, wenn ich ein Schreikind habe?

Das hängt davon ab, als wie belastend Eltern ihre Aufgabe empfinden und wie es ihnen damit geht. Manche Eltern können ihr viel weinendes Baby trotzdem recht „entspannt“ durch diese anstrengende Zeit begleiten, weil sie vielleicht gute eigene Ressourcen und ein unterstützendes Netzwerk haben. Andere Eltern kommen schneller an ihre Grenzen – vielleicht weil auch noch andere zusätzliche Sorgen da sind, wie z.B. eine noch nicht gut verarbeitete schwere Geburt.
Eltern sollten dann etwas tun, wenn sie die Situation belastet oder überfordert. Ein erster Ansprechpartner kann die Hebamme oder der Kinderarzt sein.

Welche Art von Unterstützung bietest du an für Eltern von Schreibabys?

Das Wichtigste ist wohl zunächst einmal das Zuhören und den Eltern versichern, dass sie nichts falsch machen. Eltern sollten außerdem lernen, wie sie auch in den Schreiphasen, gut in ihrer eigenen Mitte bleiben können und auch generell auch für sich sorgen in dieser anstrengenden Zeit. Darüber hinaus muss natürlich individuell auch noch geschaut werden, was mögliche Gründe für das Schreien sein können und welche Fachleute hier noch mit hinzu gezogen werden.

Was kann ich tun, wenn ich als Mutter oder Vater selbst erschöpft bin und merke, wie ich durch das Schreien aggressiv werde?

Am besten ist es, wenn man in dieser Situation einem anderen Menschen seine Gefühle offenbart und um Hilfe bittet. Das kann der Partner sein, aber auch eine verständnisvolle Person, die man rund um die Uhr anrufen kann. In der Akutsituation und wenn man niemandem das Baby übergeben kann, sollte es an einem sicheren Ort abgelegt werden. Man sollte dann kurz aus der Situation gehen. In ein Kissen boxen oder Wasser über das Gesicht laufen lassen kann helfen, die akute Anspannung abzubauen. Und man sollte sich ganz schnell jemanden organisieren, der das weinende Baby übernimmt, bis das eigene Stresslevel wieder heruntergefahren ist.

Stimmt der alte Spruch: Wenn Eltern entspannt sind, ist auch das Baby entspannt?

Nein, definitiv nicht. Ganz im Gegenteil glaube ich sogar, dass Babys mit so hohen Bedürfnissen in die Arme von Eltern hineingeboren werden, die relativ hohe Belastungsgrenzen haben. Ein vermehrt weinendes Baby kennen alle Eltern phasenweise z.B. in Zahnungsphasen. Deshalb meinen viele Eltern zu wissen, wie es den Eltern mit einem High-Need-Baby geht. Ein Schreibaby zu haben ist allerdings eine komplett andere Herausforderung.

Ist es für mein Kind (körperlich) gefährlich, wenn es die ganze Zeit schreit?

Natürlich müssen auch immer zunächst mögliche körperliche Ursachen beim Kinderarzt abgeklärt werden. Denn natürlich gibt es auch körperliche Ursachen oder Schmerzen, die dazu führen können, dass ein Baby untröstlich weint.

Was kann man als Eltern gegen aufkommende Schuldgefühle machen?

In unserem Buch schreiben wir „Keine Mutter ist eine schlechte Mutter, kein Vater ist ein schlechter Vater, weil das Baby besonders viel weint.“ Dieses Gefühl entsteht aber oft durch Kommentare unsensibler Mitmenschen. Davor gilt es sich auch zu schützen. Gerade in anstrengenden Elternphasen ist es um so wichtiger, sich mit Menschen zu umgeben, die einen stärken und unterstützen.

Wann wird es besser?

Auch das lässt sich nicht pauschal beantworten, weil es zu individuell ist. In unserem Buch haben wir die konkreten Hilfen für Eltern von viel weinenden Babys deshalb auch in die ersten drei Monate, die Monate drei bis sechs, sechs bis neun und neun bis zwölf unterteilt. Die Herausforderungen und auch die Optionen, wie Eltern ihr Baby begleiten können, verändern sich mit den Entwicklungsschritten des Kindes.

Sind Schreibabys auch später besonders emotionale oder sensible Menschen?

Oft bleibt auch später eine gewisse Empfindsamkeit. Aber letztlich bringt jedes Kind – egal ob es als Baby viel geweint hat oder auch nicht – sein ganz eigenes Temperament mit. Eltern sollten ihr Kind also mit all seinen wunderbaren und vielfältigen Seiten als eigenständige Person anerkennen und entsprechend begleiten.

 

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Mehr Informationen rund um das Thema gibt es in dem neuen Buch von Anja Constance Gaca und Pädagogin Susanne Mierau Mein Schreibaby verstehen und begleiten aus dem GU Verlag.

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